Bronner’s „Taubenpost“

Fernkommunikation Mitte des 19. Jahrhunderts – Jenseits von E-Mail und SMS


In einem Brief vom 10. August 1840 schreibt Johann Philipp Bronner an seinen Sohn Carl: “ Nach dem 17ten August werde ich nach Österreich abreisen. Ich habe über 300 Stunden nach Tokay, mit allen Kreuzwegen werde ich 800 Stunden Wegs machen (…) Wenn ich nur wieder glücklich aus Östereich komme.“ (Quelle: Dr. Fritz Schumann: Der Weinbaufachmann Johann Ph. Bronner und seine Zeit. S.28) Wenn Bronner auf Reisen war – und er war auf vielen Reisen – dann schrieb er immer wieder nach Hause an seine Familie. Er erzählte den Angehörigen in Wiesloch von Reiseerlebnissen und wollte ihre Sorgen bezüglich seines fraglichen Wohlergehens in der Fremde zerstreuen. Reisen war in damaliger Zeit gefährlich und mühsam. Im Gegenzug erwartete er, dass auch seine Frau und seine Kinder die Korrespondenz aufrecht erhielten.
Heute würde Bronner mittels Telefonie schnell von seinen Reiseetappen eine SMS an die Lieben in Wiesloch versenden. In damaliger Zeit ging die Korrespondenz nicht so einfach. Man schrieb sich Briefe, zuerst ohne Kuvert, aber das Briefblatt zu ebendiesem zusammengefaltet und mit Lack und Stempel versiegelt. Wer den Brief lesen wollte, musste das Siegel zerbrechen. Später kamen dann Kuverts, in die man seine Briefe stecken konnte, nachdem man sie mühsam, aber mit ausführlicher, blumiger und literarischer Liebe bei flackernden Licht mit der Feder hingekratzt und mit Streusand getrocknet hatte.
Das Großherzogtum Baden hatte bis 1851/52 die Posthoheit inne und die erste Briefmarke, „Freimarke“ genannt, gab es im gleichen Jahr jeweils für 1, 3, 6 oder 9 Kreuzer. Bayern hatte schon 1849 als erste Briefmarke in Deutschland, den „Schwarzen Einser“, eingeführt. Bis ungefähr 1850 konnten Nachrichten, Personen oder Güter nur mit menschlicher oder tierischer Muskelkraft transportiert werden. Die „Post“ ging also entweder mit Boten oder im Eilpostwagen vom Absender zum Adressaten. Die Mengenkapazität der Briefe war demnach begrenzt – das war aber nicht schlimm, denn nur die Oberschicht und das gebildete Bürgertum konnten lesen, schreiben und die Transportkosten bezahlen. Mit der Einrichtung der Eisenbahn änderte sich die Situation schlagartig. Der Wieslocher Posthalter David Greiff beklagte sich 1843 darüber, dass er aufgrund der neuen Eisenbahn jetzt nicht nur Personen, sondern vermehrt auch  die Post zur Bahnstation befördern musste. 1855 gab er dann dieses Gewerbe auf und übertrug den lästigen Dienst seinem Sohn Carl David. Ein weiteres „Übel“ kam hinzu, denn um 1860 begann die Geschichte der „Postkarte“ zeitgleich in Deutschland und Österreich. Man war empört: Ein Schriftverkehr, der in Form der „Korrespondenzkarte“ von jedermann mitgelesen werden konnte, da es sich um eine offene Karte anstatt eines gut verschlossenen Briefkuverts handelte! Man nannte dies „einfach unsittlich“.  Steigendes Kommunikationsbedürfnis und wachsende Reise-Mobilität verhalfen der preisgünstigeren Korrespondenzkarte, die schon bald zur „Bildpostkarte“ wurde, endgültig zum Sieg.
Bronners Zeitgenosse, der Komponist Franz Schubert (1797 – 1828) bringt das 1828 auf einen literarisch-musikalischen Punkt, was Johann Philipp Bronner 1840 am „eigen Leib“ verspüren musste: die Sehnsucht des Reisenden nach Weib und Familie in der Heimat. In dem Liederzyklus „Schwanengesang“ findet sich Johann Gabriel Seidels launig  vertontes Gedicht „Die Taubenpost“:

„Ich hab‘ eine Brieftaub/ in meinem Sold/ Die ist mir gar ergeben und treu/
Sie nimmt mir nie/ das Ziel zu kurz/Und fliegt auch nie vorbei/
Ich sende sie viel tausend mal/ auf Kundschaft täglich hinaus/
Vorbei an manchem lieben Ort/ Bis zu der Liebsten Haus/…/
Sie heißt – die Sehnsucht! Kennt ihr sie? / Die Botin treuen Sinns.“

Zu Brieftauben musste Bronner nicht greifen, als er zwischen dem 17. August und dem 16. Oktober 1840 seiner Frau Elisabetha schrieb: “ Ich war Gottlob immer gesund… Glücklich will ich mich dann in Deiner Nähe wieder fühlen… ich habe nun die Welt gesehen, ich kann jetzt mit Ruhe bei meiner Familie bleiben.“ (Quelle: s.o.)
Echte „Taubenpost“ eben, wenn auch auf Bronner’sche Art. Und wenn Bronner zur „Bildpostkarte“ hätte greifen können, welches Motiv hätte er dann wohl gewählt? Sicherlich hätte er seiner Familie und ganz besonders seiner Ehefrau eine üppige Rosen-Postkarte geschickt, war doch die Rose neben der Traube Bronners wahre Leidenschaft.